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Ein schlechtes Ereigniss

Mia die Feder > Nach'm Kriag

Ein schlechtes Ereignis

Im Dorf ist es ruhig. Es heißt, die Amis würden die Wohnungen durchsuchen. Doch, dann gibt es einen Zwischenfall. Ein US-Soldat soll erschossen worden sein.
Weil sich kein Schuldiger den Amis stellt, holen sie den Bürgermeister. Der kann natürlich auch keinen Täter angeben.
Angeblich wollen daher den Bürgermeister erschießen. Doch zuvor legen sie den toten Ami auf einen großen Leiterwagen und anstatt von einem Pferd gezogen, muss der Bürgermeister den Wagen unter Schlägen alleine den Berg zum Friedhof hinaufziehen und dann noch ein Grab ausheben.
Die beiden Kinder des Bürgermeisters fallen vor den Soldaten nieder und betteln um das Leben ihres Vaters. Die Angeflehten zeigen zunächst kein Einlenken.
Die Minuten ziehen ich endlos dahin. Dann endlich geben die Amis nach und lassen den Bürgermeister frei.
Der Reisweber leidet nach dieser Attacke bis zu seinem Lebensende unter schwerem Asthma. Auch sein Bürgermeisteramt übt er nicht mehr aus. Aber er lebt! Gott hat geholfen!


Die Hausdurchsuchungen

An den nächsten Tagen  regnet es. Hof  für Hof, Haus für Haus, Stall für Stall, alles wird von den Amis gründlich durchsucht.
Alles, was irgendwie auf Hitler und Wehrmacht hinweist, wurde von den Leuten schon vorher schnell vernichtet. Während der Durchsuchungen müssen die Bewohner immer raus. Mama macht ein
ganz böses Gesicht, als sie sieht, dass einige Amis den Hof betreten. Mit mir an der Hand verlässt sie die Wohnung. Wir sind schon draußen, als der Mama einfällt, dass das Hitlerbild noch immer im Schlafzimmer hängt. Sie lässt mich im Hof bei den Weichenrieders und eilt zurück.
Wo soll sie denn nun das Bild schnell hin tun? Aus der Wohnung kann sie es nicht mehr entfernen. Ihr fällt nichts ein, nur der Korb mit der Schmutzwäsche. Dort schiebt das Bild hinein und breitet die dreckige Wäsche darüber. Dann rennt sie die Treppen wieder hinunter, als die Amis unten schon ins Haus stürmen.
Die Weichenriederin, Mama und die sechs weinenden Kinder stehen im strömenden Regen, nur durch die Holzleg sind alle etwas geschützt. Mama wird richtig wütend.
In ihrem Frust betritt sie das Haus wieder und schimpft auf bayrisch auf die Amis ein. Wie können sie eine Frau mit fünf Kindern im Regen stehen lassen? Sie gestikuliert und deutet auf die Frau. Kurz darauf geben sie der Weichenriederin ein Zeichen, dass sie in ihre Wohnung kann. Wir dürfen noch nicht hinein. Die Soldaten poltern die Treppe hinauf in unsere Zimmer.
Wir stehen im Hof. Man hört oben Türen schlagen und die suchenden Soldaten hantieren. Dann ist es kurz ruhig. Vielleicht beten die Amis vor Mamas kleinen Maialtar, den sie wie jedes Jahr aufgestellt hat. Doch nun dringt lautes Lachen an
unsere Ohren. Mamas Gesichtsausdruck ist irritiert. Endlich kommen die Amis die Treppe herunter. Immer noch lachend verlassen sie das Haus und den Hof. Naja, wenigstens hat es keine Todesopfer und keine Vergewaltigung gegeben.
Mama nimmt mich an der Hand und steigt mit resoluten Schritten die Holztreppe hinauf. In der Küche sind die Schubladen herausgezogen; einige Gegenstände sind auf dem Fußboden gelandet. Die kleine Seitenkammer ist zwar auch durchwühlt, aber sonst ist kein größerer Schaden festzustellen. Das Versteck unter dem Bodenbrett wurde nicht entdeckt. Unser "Familienschmuck" ist also gerettet.
Nun begibt sich Mama ins Schlafzimmer. Ich bin natürlich dabei. Sie öffnet die Türe und schon weicht sie erschrocken einen Schritt  zurück. Auf dem Maialtar steht anstatt der Muttergottes das große Hitlerbild, auf dem er in siegessicherer Pose der Mama entgegen strahlt. Davor sind die Maialtar-Blümchen postiert.
Jetzt weiß Mama, über was die Amis gelacht haben. Hitler auf dem Maialtar! Das hätte auch schlechter ausgehen können.


Ausgangssperre und krank.

Im Dorf herrscht reges Ami-Leben. Zwar ist die Brücke über die Autobahn gesprengt, aber die Amis haben keine Schwierigkeiten mit ihren Fahrzeugen diese zu überqueren. Tagsüber können sich die drei Frauen ohne Schwierigkeiten treffen, aber am Abend herrscht Ausgangssperre und wir dürfen die Wohnungen nicht verlassen.
Mama wird schon einige Tage von starken Zahnschmerzen gequält. Sie scheut den Weg zum Zahnarzt nach Kösching, wo doch all diese fremden Soldaten auf den Straßen sind. Nein, das geht für sie nicht, besser hält sie die Schmerzen aus. Sie setzt lieber Hausmittel ein  ...eine Nelke in den Zahn stecken, mit Kamillentee spülen usw...und dann wird es schon wieder aufhören.
Aber es hört nicht auf. Eines Nachts kann Mama es einfach nicht mehr aushalten. Sie krümmt sich vor Schmerzen. Doch die Sperrzeit ist schon angebrochen. Nun bereut sie, dass sie nicht doch in den letzten Tagen zum Zahnarzt gegangen ist. Weil sie den Schmerz nicht mehr ertragen kann, nimmt sie eine kleine Flachzange und versucht den Stockzahn zu ziehen. Es geht nicht! Da greift sie zur Beißzange. Nach viel Schmerz und Plag reißt sie den Zahn mit samt einem Stück Zahnfleisch heraus. Einige Tage später hat sie eine Kieferneiterung, aber Mama übersteht das auch. Doch sie gelobt sich, den Zahnarzt das nächste Mal schneller aufzusuchen.


Dann  werde ich krank!

Ich leide an einem Brechdurchfall und liege kraftlos in meiner Kiste im Schlafzimmer. Ich darf nicht aufstehen. Mama versucht alles, meine Speierei (Erbrechen) und meinen Durchfall in den Griff zu bekommen. Sie holt die nette, ruhige Krankenschwester. Diese ordnet für mich Tee und Haferschleimsuppe an. Wenn es nicht besser wird, sollen wir zum Doktor, denn ihr fehlen Medikamente.
Wirklich, nun kommt noch Fieber dazu. Auch der Lindenblütentee (von den Lindenbäumen beim Hollerbauern) hilft nicht. Es ist Abend, Tante ist mit Beate bei uns. Sie schaut zu mir ins Bett. Als sie mein glühendes  Gesichtchen sieht, macht sie ein bedenkliches Gesicht und meint, wir müssten zum Doktor nach Kösching.
Aber eigentlich darf man zu dieser Zeit nicht mehr raus. Tante gibt aber nicht nach. Sie packt Decken und Kissen, polstert damit den kleinen Leiterwagen aus, der in der Holzleg steht. In diesen werde ich nun gelegt. Anschließend machen sich die Frauen mit mir auf den Weg. Sie haben zwar eine Taschenlampe dabei, die auch noch funktioniert, denn Birnchen oder eine neue Batterie, sind schwer zu beschaffen.
Aber Gott sei Dank ist es an diesem Abend mondhell und sie finden sich gut zurecht. Wegen der gesprengten Autobahnbrücke müssen sie Umwege über Hepberg und den Mühlweg in Kauf nehmen. Niemand hält sie auf. Sie läuten den Doktor heraus und werden ins Sprechzimmer eingelassen.

Der Arzt setzt mich auf den Behandlungstisch, will mir mit einem Steckerl in der Hand in den Hals schauen und will mir ein Fieberthermometer in den Po schieben. Das kann ich nicht vertragen. Trotz aller seiner Anstrengung, trotz der guten und bösen Worten, trotz dem Zureden von Mama und Tante, gebe ich nicht auf. Dabei entwickle ich ungeahnte Kraft. Ich schreie, strample und schlage wild um mich. Nun wird der Doktor echt grantig, weil ich mich so aufführe. Er packt mich und gibt mir einen kräftigen Klaps auf  meinen
Hintern. Das habe ich nicht erwartet! Ich bin entsetzt, sprachlos und starr vor Schrecken! Wie kann er mich kleines, armes Hascherl einfach schlagen?

Doch seine "Behandlung" zeigt Wirkung! Er kann mich untersuchen, Fieber messen und abhören. Er macht ein bedenkliches Gesicht wegen dem hohen Fieber, geht an seinen Medikamentenschrank, überprüft seinen mageren Inhalt, holt dann Tropfen heraus und verabreicht mir gleich welche. Ähhh, ähhhh...sind die bitter! Aber ich trau mich nicht mehr gegen den resoluten Doktor aufzubegehren. Er gibt der Mama Medikamente mit, ordnet weiter Betttruhe an und außerdem weiterhin Haferschleimsuppe und Tee.

Das ist bestimmt seine ganz persönliche Rache, mir diese furchtbare Suppe weiter aufzuzwingen. Die Frauen bringen mich ohne Zwischenfall wieder nach Hause. Aber die Behandlung geht mir auf die Nerven. Ich will die Schleimsuppe nicht mehr essen. Mama wendet alle Trix an, "...ein Löffel für Mama.. ein Löffel für Papa... ein Löffel für
Mutti...ein Löffel für..."  Nun muss ich auch noch für alle essen! Sollen sie doch ihre Suppen selber löffeln! Ich vergönn jeden diesen Genuss!
Um mich etwas bei Laune zu halten, gibt mir Mama zur Unterhaltung sogar ihre Postkarten-Alben, die dadurch auch Schaden erleiden. Das tut ihr in der Seele weh, aber sie opfert diese schönen Erinnerungsstücke für mich!
Meine liebe Tante bringt mir ein altes Lesebuch. Da ist sogar ein Bild von einem Mädchen drin, das auch so eine Schürze mit Rüschen an hat, wie ich sie immer tragen muss. Also sooo schlimm schauen diese Schürzen doch nicht aus. Ein kleiner Trost für mich. Doch dann geht es mit mir wieder bergauf...ich werde wieder...! Ich will diese bucklige Welt schon noch ein wenig voll sch.... und ich darf wieder in den Kindergarten!


Die Amerikaner

In Lenting hat man sich an die neuen Zustände gewöhnt, wenn auch viele Dinge der Amis den Dörflern und nicht nur diesen, sondern auch vielen Deutschen unverständlich sind.
Ja, was diese Amis alles machen! Sie legen die Füße auf den Tisch! Naja, wenn die Hennen auf den Bauernhöfen zuerst auf dem Misthaufen scharren, dann auf dem Tisch in der Stube umher spazieren, die Reste und Brotbrösel aufpicken und dabei auch mal "Hennadreck" hinterlassen, so ist das doch ganz was anderes, als Füße mit den Schuhen dran auf den Tisch zu legen.
Und dann der Kaugummi! Ihre Lippen sind immer in Bewegung. Außerdem was die alles essen! Alles aus den Dosen!, Sogar süße Erbsen!  Die Nachbarskinder haben irgendwo so eine Dose aufgegabelt und mir eine Kostprobe gegeben. Da schmeckt unser Erbsenpüree aus den getrockneten Erbsen schon viel besser.
Alles in Dosen! Käse ebenfalls in Dosen! Schokolade in Dosen! Gesalzene Butter! Butter aus Erdnüssen! Süßes Tomatenmark, Ketchup genannt! Säfte in Dosen! Und für alles haben sie Pulver - Milchpulver, Eipulver,  Kaffeepulver und was es sonst noch alles in Pulverform gibt.

Aber sie verfügen auch über sehr feine Dinge. Die Erwachsenen gieren vor allen Dingen nach Kaffee und Zigaretten, die Kinder nach Schokolade. Die Autobahn wird von den Amis befahren. Auch wir benutzen diese als Transportweg.
Um Holz und Butzküh zu sammeln, fahren wir bis nach Denkendorf. Niemand hält uns auf, wenn wir unseren kleinen Wagen auf der Autobahn ziehen. Ob es verboten oder erlaubt ist, weiß ich nicht.
Wichtig scheint es zu sein, dass wir bei Kontrollen einen Holzleseschein vorweisen können und kein "grünes Holz" im Wagen haben.
Am Sonntag gehen die Leute  auf der Autobahn spazieren, sogar Onkel Hans (Muttis zweiter Mann), der wegen seiner unterschiedlichen Dienstzeiten bei der Münchener Eisenbahn nicht so oft da ist, schließt sich diesen Spaziergängen an. Alle hoffen, dass die Amis viele Zigarettenkippen aus den Jeeps werfen, die dann sofort einen "Sammler"  finden.
Manchmal fliegt uns auch eine fast ganze Zigarette oder mal auch ein Stückchen Schokolade zu.
Einmal bin ich mit Mama nach Stammham unterwegs. Mama hat mich schön angezogen. Ich trage meine Haare offen. In der Sonne glänzt es golden. Da kommt hinter uns ein Jeep gefahren. In unserer Höhe verlangsamt er die Fahrt und ein Soldat wirft mir eine ganze Tafel Schokolade zu. Stolz verbuche ich diesen Erfolg!
Ganz eingebildet schreite ich mit erhobener Nase dahin und übersehe dabei ein Loch in der Straße. Ich stolpere und komme fast zu Fall. Da hat Mama gleich wieder einen ihrer Sprüche parat. Sie meint: "Do siegst as: Hochmut kommt vor dem Fall."


Der Namenstag

So weit es möglich ist, versucht man wieder ein "normales" Leben zu führen. Im Kindergarten laufen schon lange große Vorbereitungen für den bevorstehenden Namenstag des hochwürdigen Herrn Pfarrers, dessen Name "Anton"  ist. Die Kindergarten Schwester hat die gescheiten Kinder ausgesucht, die mit Aufsagen
von Gedichten, Vorträgen, Aufführungen, Reigen und Liedern zur großen Feier beitragen sollen.
Robert und Beate gehören dazu.
Robert darf  einen Hahn machen. Er bekommt das Kostüm eines Gockels. Um ihn scharen sich die Hennen. Ohne Hemmungen, ganz selbstsicher trägt er vor: "Kickeriki, kickerki ich bin der Hahn  und tret mit meinen Hennen an.   Die werden gackern, jubilieren,  um dir zum Namenstag zu gratulieren...usw."

Beate spielt den Zwerg Purzel, der niesen muss und dabei dreimal einen Purzelbaum schlägt. Sie macht dies mit Bravour aus dem Stand heraus. Und ich? Ich gehöre nicht zu den Auserwählten, nicht zu den V.I.P. des Lentinger Kindergartens. Ich komme überhaupt nicht in Betracht, nicht mal zu einer Probe. Was soll man mit mir auch anfangen? Ich glaube, die Schwester merkt nicht mal, dass ich auch im Kindergarten bin. Oder ich werde einfach als vollkommen unbegabt oder dumm eingestuft. Ich werde nie zu etwas herangezogen.
Robert und Beate führen  zuhause schon immer ihre Aufführungen vor. Beate purzelt dabei x-mal auf den Fußboden dahin. Mama fragt mich, ob ich auch einen Purzelbaum könnte. Zögerlich sage ich "ja"
Von wegen einen Purzelbaum aus dem Stand! Immer Mamas Ermahnungen im Hinterkopf, lasse ich mich langsam auf den Boden nieder, rolle mich vorsichtig über den Fußboden und plumpse  wie ein Mehlsack seitlich hin. Mama sagt zwar: "schön". Das ist alles.

Man kann mich eben zu nichts brauchen. Aber im Kopf habe ich schon meine Vorstellungen. Als Mama mich fragt, was denn mir gefallen würde, weiß ich das mit Bestimmtheit! Ich will noch etwas viel besseres werden als ein krähender Gockel oder ein niesender Purzelzwerg! Ich will eine Balletttänzerin werden!
Außer im Bilderbuch habe ich noch keine gesehen .Aber Mama hat mir von diesen Mädchen erzählt, die kurze Kleidchen aus Tüll tragen und die auf den Zehenspitzen tanzen können. Mit den Schuhen, die Mama für mich gemacht hat, kann ich gut auf den Zehenspitzen stehen und hin und her trippeln. Damit gefalle ich  und ich gefalle mir selbst. Sicher reicht das für mich als Tänzerin.

 
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