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Entnazifizierung

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1946 Die Entnazifizierung

Ich stehe mit der Weichenrieder Erna auf der Straße als ein Mann in einer kurzen Lederhose auf dem Fahrrad vorbei fährt. Natürlich grüßen wir, wie wir es gelernt haben, mit "Grüaß  God".
"Des ist der Lehrer Häusler", erklärt die Erna.
"Den hob i aber no nia in der Schui gsehn", meine ich..
"Der derf koa Schul haltn, weil er no net entnazifiziert ist."
Ich kenne mich da zwar nicht aus, aber davon hab ich daheim auch schon gehört. Bei der Entnazifizierung wird geprüft, ob man im Dritten Reich etwas mit den Nazis zu tun und Schuld auf sich geladen hat. Wenn alles in Ordnung ist, wird man entnazifiziert, das bedeutet freigesprochen.
Viele, nicht alle, der ehemaligen Hitleranhänger können sich im Zusammenhang mit Hitler an nichts mehr erinnern und haben auch niemals, gar nie nicht, nicht mal mit  "Heil Hitler" gegrüßt.
Mama hat zuhause einen großen Fragebogen und muss diesen ausfüllen. Als sie das erledigt hat, geht sie mit mir nach Ingolstadt.
Ich staune über die großen Bombenkrater, die dort hinter Oberhaunstadt die Fluren verunstalten und die sich mit grünlich stinkendem Wasser gefüllt haben. In der Stadt angekommen, sucht Mama ein Amt oder Büro auf. Auf alle Fälle geht es ganz ernst zu. Einige Männer und Frauen stehen auf dem dunklen Gang und warten, bis sie aufgerufen werden. Auch Mama muss sich etwas gedulden bis sie in ein Zimmer geschickt wird. Dort sitzt hinter einem Schreibtisch ein muffiger Mann. Mama gibt ihren ausgefüllten Bogen ab.
Sie hat noch einige Fragen zu beantworten und dann wird ihr erklärt, dass sie nun entnazifiziert ist.
Übrigens, der Lehrer Häusler wird auch bald entnazifiziert, denn es heißt, dass er wieder unterrichtet.


1946 Die Ferien

Ich habe das erste Schuljahr hinter mir und bin stolz, weil ich so gute Noten bekommen habe und ich von Mama, Mutti und Tante gelobt werde. Aber bevor ich in die zweite Klasse komme, habe ich große Ferien. Eigentlich würde ich gerne darauf verzichten, weil mir die Schule nach den anfänglichen Startschwierigkeiten
großen Spaß macht. Aber da kommt Mama doch mit einer Überraschung. Beate und ich dürfen mit ihr
nach Nürnberg fahren!
Wer hört den in diesen Zeiten schon von Fahrten in die Ferien? Beate und ich gehören also zu der "besseren Gesellschaft" von Lenting. Wir freuen uns sehr. Wir sind ja immer zusammen, ich erkläre ihr mit Geduld einige Buchstaben und lese ihr aus Bilderbüchern vor. Das ist aber eigentlich nicht notwendig, denn sie kennt selbst viele dieser Texte auswendig, daher lässt sie sich von mir nichts weis machen.


Auf nach Nürnberg

Um zum Bahnhof zu gelangen, muss man noch immer die Behelfsbrücke neben den Schienen benutzen, weil die Autobahnbrücke vor dem Einmarsch der Amerikaner gesprengt wurde. Aber nun stehen wir alle am Lentinger Bahnhof und warten auf den Riedenburger Zug.
Fahrkarten hat Tante schon gelöst. Beate und ich dürfen unsere Kinderkarten sogar selbst halten. Unsere Fingerchen umschließen diese Karten ganz fest, denn wie uns gesagt wird, darf man ohne Karte nicht fahren und muss aussteigen.
Wir sind schön angezogen. Beate hat ein duftiges Worlkleidchen an. Ich ein Dirndl, mit dem passenden Dirndlschürzchen, das mir Mama genäht hat. Wegen der Sonne und damit ich nicht so viele "Sommermirl" bekomme, habe ich sogar meinen Tiroler Strohhut auf. Wir haben unsere Pausetäschchen, die ein Taschentuch und einige in Papier eingewickelte Marmeladenbrote enthalten, umhängen.
Am Bahnhof liegt noch ein großer Berg von Betonsteinen, die vom Autobahnbau übrig geblieben sind. Aus deren Ritzen wächst schon  Gras. Uns drei großen Kinder fällt sofort ein, diesen Stapel zu besteigen und uns darauf an die Sonne zu setzen.
Die leichtfüßige Beate ist Nullkommanichts oben. Auch Robert ist schnell bei ihr. Nur bei mir dauert es länger bis ich mit meinen Ballerinabeinen ebenfalls die Spitze erklimme. Der kleine Ludwig quengelt in seinem Sportwagen, auch er will heraus.
Da greift Mama ein. "Sofort do ro (da runter)! Wenn ihr eich dreckert machts, dann lass ich eich do und fahr alloa!"
Schnell sind wir wieder herunten und bleiben brav stehen. Mit der Mama ist nicht zu spaßen!
Da hört man die Bahnglocke läuten, das bedeutet, dass der Zug jetzt  in Kösching wegfährt. Der Schmidt Toni schließt den Fahrkartenschalter, setzt seine Dienstmütze auf, nimmt sein Taferl und schaut, dass alles frei ist. Schon dampft der Zug heran. Der Schmidt Toni gibt lauthals bekannt: "Lenting!"
Einige Leute verlassen den Zug; stolz steigen wir nun mit Mama ein. Beate und ich würden gerne draußen auf der Plattform stehen bleiben, doch Mama meint: "Des kummt ja gor net in Frage!"
Obwohl der Zug ziemlich voll ist, ergattert Mama sogar Plätze an einem Fenster. An dem Lederriemen lässt sie das Fenster etwas runter und wir werfen noch Handbussi an die Zurückgebliebenen. Mutti tröstet gerade den Robert, der weint draußen, weil er nicht mitfahren darf.
In Ingolstadt steigen wir in einen anderen Zug und in Treuchtlingen nochmals. Wir haben mit dem Platz wieder Glück. Beate und ich finden natürlich, dass wir die wichtigsten Reisenden sind. Wenn der Schaffner durch geht, zeigen wir immer stolz und ohne Aufforderung unsere Fahrkarten.
Dann müssen wir auf den Abort. Mama lässt uns gemeinsam gehen.
"Paßts ma ja auf, dass ihr zwoa Ruaschn net no zum Zug nausfollts!" werden wir noch ermahnt.
"Jaaaaah , jaaa..."
Da sehen wir einen älteren Mann, der halblange graue Haare hat, die bis Zu seinen Schultern gehen. So was haben wir überhaupt noch nicht gesehen! Ein Mann mit langen Haaren! Kichernd und lachend kommen wir zurück.
"Iatz hockts eich hi und bleibts hocka!" Das  tun wir zwar, aber das Kichern und Kudern hören wir nicht auf. Mama sagt  gar nichts mehr. Aber ihre strafenden Blicke zwingen uns dann doch zur Ruhe.
Die Fahrt macht uns aber trotzdem viel Spaß. Das Wetter ist warm, die Sonne scheint. Wir fahren durch bunte Wiesen, Kornfelder, Wälder und Auen. Sogar ganz hohe Felsen sehen wir, auch die Altmühl, die sich durch das schöne Land schlängelt.


In Nürnberg

In Nürnberg erwartet uns Tante Resi schon am Hauptbahnhof. Mit der Trambahn geht die Fahrt weiter, weil Tante Resi nun in Fürth wohnt. In Nürnberg sehen wir hauptsächlich zerbombte Häuser. In Fürth schaut es nicht so schlimm aus.
Am nächsten Tag holen uns Tante Anni und Onkel Karl ab. Mama bleibt bei der Tante Resi.
Wir verleben wunderschöne Tage in der Rehdorfer Straße.
Onkel Karl als Elektromeister hat zwar viel Arbeit, aber Tante Anni tut alles, um uns zu verwöhnen. Richtig lustig wird es immer, wenn am Abend der Onkel Karl kommt. Er ist der beste Onkel, den es gibt und wir zwei vaterlosen Kinder würden ihm gerne als Papa nehmen.
Er hat zwei Neffen, den Rudi und den Günther. Der Günther ist in unserem Alter. Er kommt fast jeden Tag her um mit uns zu spielen. Das ist sehr lustig, denn wir tratzen ihm. So hat der arme Günther nichts zu lachen mit zwei so bösen Mädchen wie wir es sind.
Die Ferienwoche vergeht viel zu schnell. Wir statten der übrigen Verwandtschaft Besuche ab und werden überall herzlich aufgenommen. Bevor wir heimfahren, dürfen wir mit Mama und Tante Resi noch in
den Nürnberger Tierpark.
Leider kann nur ein kleiner Teil besucht werden, denn die Bomben haben  auch hier nicht Halt gemacht. Doch wir freuen uns auch über die Tiere, die zu sehen sind.
Besonders den Menschenaffen und den sprechenden Papageien gilt unser Interesse, aber auch den Elefanten und einem Nilpferd.
Müde, aber glücklich und sehr gebildet verlassen wir den Tierpark. Ha, was wir da alles gesehen haben! Wenn wir das im Dorf erzählen, werden uns alle bewundern.
Am nächsten Tag geht es wieder heim. Natürlich haben wir noch kleine Geschenke erhalten.
In Lenting werden wir bestimmt von wichtigen Leuten erwartet. Alle wollen bestimmt von unserer Reise erfahren! Wer kommt den schon bis nach Nürnberg? Wir sind Weltreisende und müssen bewundert werden.


Zuhause wird es wieder ernst

Fast täglich wird in den Wald gefahren, damit wir Heizmaterial für den Winter haben. Mama ist außerdem mit dem Einwecken sehr beschäftigt.

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