A Leb'm

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s'Jahr 42

Mia die Feder > g'lebt wird a

Das Jahr 1942

Der Januar ist kalt. Mama muss fest einheizen, das kann man sowieso nur in der Wohnküche. Im  Schlafzimmer ist es so kalt, dass das Eis an den Wänden steht.
Damit ich es im Bett warm habe, legt mir Mama am Abend eine Wärmflasche hinein. Die mit Eisblumen n bedeckten Fenster sind sehr schön anzuschauen. Die Wäsche muss über den Ofen getrocknet werden. Große Stücke hängt man trotz der Kälte im Hof auf und lässt sie richtig ausfrieren. Da riecht die Wäsche dann nach Schnee und Winterfrische.
Es schneit! Wenn man draußen geht, dann knirscht der Schnee unter jeden Tritt. Man sitzt in der warmen Küche. Mutti und Tante stricken aus Schafswolle und aufgetrennter Wolle Sachen für die Kinder. Mama ist mit Näherei beschäftigt. Nebenbei lernt sie mir
das schöne  Wintergedicht von
Friedrich Güll:

Der erste Schnee
Ei, du liebe, liebe Zeit,
ei, wie hat's geschneit, geschneit!
Rings herum, wie ich mich dreh' ,
nichts als Schnee und lauter Schnee.
Wald und Wiesen, Hof und Hecken,
alles steckt in weißen Decken.
jedes Bäumchen voller Flaum!
Auf dem Sims, dem Blumenbrett
liegt er wie ein Federbett.
Auf den Dächern um und um
nichts als Baumwoll' rings herum.
Und im Garten jeder Baum,
Und der Schlot vom Nachbarhaus,
wie possierlich sieht er aus:
Hat ein weißes Müllerkäppchen,
hat ein weißes Müllerjöppchen!
Meint man nicht, wenn er so raucht,
dass er just sein Pfeifchen schmaucht?
Und im Hof der Pumpenstock
hat gar einen Zottelrock
und die ellenlange Nase
geht schier vor bis an die Straße.
Und gar draußen vor dem Haus!
Wär' nur erst die Schule aus!
Aber dann, wenn's noch so stürmt,
wird ein Schneemann aufgetürmt,
dick und rund und rund und dick,
steht er da im Augenblick.
Auf dem Kopf als Hut 'nen Tiegel
und im Arm den langen Prügel
und die Füße tief im Schnee
und wir rings herum, juche!
Ei, ihr lieben, lieben Leut',
was ist heut' das eine Freud´!
Auch der schönste Schnee wird wieder zu Wasser


Mein Geburtstag

Mir gefällt das Gedicht so gut, dass ich es gerne lerne. Mama ist darüber sehr erfreut. Ich trage das Gedicht auch vor, aber nur vor Leuten, die ich kenne. .Diese aber nerve ich unaufhörlich damit.
Mutti, Tante, die Bawett Oma, und  Onkel Xaver müssen es sich anhören Das auch noch, als draußen schon lange kein Schnee mehr liegt. Im März werde ich nun drei Jahre alt und mein Geburtstag fällt sogar auf einen Sonntag. Naja, große Feier gibt es sowieso nicht, aber Mama backt einen  guten Kuchen, weil es am Wochenende auch so immer etwas Gebackenes gibt. Diesmal bereitet Mama aber für die Kinder extra einen wunderschönen, himbeerrroten Wackelpudding  zu. Mit Begeisterung wird er von uns drei Kindern verzehrt.
Ja, da sollen sich Beate und Robert aber freuen, dass es mich und meinen Geburtstag gibt.
Trotz aller Traurigkeit wird in der Familie doch auch wieder gelacht. Die drei Kinder bringen die Erwachsenen schon manchmal dazu.


Papa hat Heimaturlaub

Weil er eine Schussverletzung an der Hand hat, bekommt Papa Heimaturlaub und ist über die Osterfeiertage zuhause. Er bringt aus Frankreich auch einige Sachen mit; eine Aktentasche aus Leder  und extra für Mama einige Meter weißen Stoff, der mit Goldfäden durchwirkt ist.  
Für die Kinder hat er einige Tafeln Schokolade. Ich bekomme nachträglich zu meinem Geburtstag eine ganze Tafel für mich alleine. Schon der Geruch betört mich. Ich würde die Tafel sofort aufreißen und ganz verdrücken. Aber da ist Mama dagegen. Jetzt bekomme ich nur ein Rippchen und der Rest wird als "Betthupferl" auf viele, viele Tage verteilt.

Natürlich muss sich Papa auch noch "Ei, du liebe, liebe Zeit " anhören. Und wie er mich lobt!
Den Papa erwartet zuhause auch viel Arbeit. Die Wohnküche gehört geweißt. Mama wollte das schon allein machen, aber wenn ihr Mann da ist, dann wird sein Zugreifen eine Erleichterung sein.
Um diese Arbeit vor den Feiertagen zu erledigen, wird die Angelegenheit gleich in den nächsten Tagen in Angriff genommen. Mama schaut ihre Gummiwalzen durch. Aber sie will mal ein neues Muster. Sie geht zum Merkel, denn dort kann man Rollen gegen eine Gebühr ausleihen. Sie nimmt eine mit einem dezenten Blumenmuster.
Zuhause wird dann der große Küchenkasten von der Wand weggerückt und in die Mitte des Raumes geschoben. Plötzlich schaut Papa ganz irritiert auf die Rückwand des Schrankes.
Da ist doch etwas groß mit Kreide geschrieben und er liest:
"Leck mich am Arsch!"
Nun fängt er lauthals das Lachen an. Jetzt wird ihm klar, was seine feine Frau, die keine ordinären Ausdrücke in den Mund nimmt, meint, wenn sie bei einer Auseinandersetzung sagt: "Hinter meinem Kasten!"

Am Abend ist das Werk vollbracht. Wunderschön ist die Küche und für die Osterfeiertage bereit. Wir genießen die schöne Wohnung.


Der Kindergarten

Die Weichenrieder Mädchen gehen alle in den Kindergarten. Sie erzählen mir, wie schön es  dort ist. Als die kalten Tage vorbei sind, wird mir der Wunsch erfüllt:
Ich darf  in den Kindergarten gehen!
Mallersdorfer Schwestern leiten den Kindergarten. Was würde Lenting ohne die Schwestern machen?
Das ist nicht nur der Kindergarten, sondern die Schwestern leisten Hilfe in vielen Lebenslagen. In Lenting gibt es keinen Arzt, dafür ist die Krankenschwester zuständig. Bei Verletzungen und Erkrankungen ist sie die erste Anlaufstelle. Sie hat ein sehr fein geschnittenes Gesicht. Doch sie wackelt immer mit dem Kopf, wahrscheinlich eine Nervenerkrankung. Mama meint, sie ist bestimmt ein Adelsfräulein. Alle halten viel von ihrem Können. Wenn sie eine Spritze gibt, merkt man nichts von ihrer Nervenerkrankung, denn sie hat die ruhigste Hand.
Die Schwestern haben auch noch die Nähschule. Mädchen wird hier das Zuschneiden und Nähen beigebracht. Da kommen auch welche aus den Nachbardörfern.
Am Sonntag dient die Nähschule als Pfarrbibliothek. Hier kann man gegen eine geringe Gebühr Bücher ausleihen.
Natürlich sind die Schwestern auch für die Kirchenmusik und den Kirchen-und Kinderchor zuständig. Ja, sogar hauswirtschaftliche und gärtnerische Ratschläge werden von den Schwestern erteilt.
Für mich ist der Kindergarten das Wichtigste!
Am ersten Tag bringt mich Mama für den Nachmittag selbst hin. Stolz habe ich ein schönes, neues Pausentäschchen umhängen. Schüchtern halte ich mich an der Hand von Mama fest, den linken Daumen habe ich wie immer im Mund.
Ich habe nicht gedacht, dass so viele Kinder im Kindergarten sind. Das beängstigt mich. Jetzt fehlen mir Beate und Robert. Die freundliche Schwester Hataloga nimmt mich an der Hand. "So, jetzt gehen wir mal zu den Kindern. Da darfst du gleich mitspielen"
Ich habe gar keine Zeit mehr, mir Gedanken zu machen und schon bin ich im Spiel "Machet auf das Tor..." eingebunden und ich merke gar nicht mehr, dass Mama weg ist. Pünktlich um fünf Uhr ist sie aber wieder da und holt mich ab. Mir hat es so gut gefallen und ich freue mich schon auf morgen. Weil ich es so will, bringt sie mich schon in der Frühe hin. Mittag gehen fast alle Kinder heim zum Essen und kommen dann wieder für den Nachmittag bis um fünf Uhr.
Mittag verlasse ich mit den anderen Kindern den Kindergarten. Mama ist schon auf den Weg um mich abzuholen. Ich bin doch eine Gescheite, das will ich ihr beweisen.
"Geh hoam" rufe ich ihr entgegen, "ich kann des scho selba!" Und wirklich, Mama dreht sich um und geht heim. Stolz komme ich kurz hinter ihr zu hause an. Ich will gelobt werden und Mama tut das auch. Von nun an gehe ich immer allein zweimal am  Tag in den Kindergarten und heim.
Im Kindergarten gibt es keine Langweile. Nur am frühen Nachmittag müssen wir eine Stunde schlafen. Für die Kleineren werden Pritschen aufgeklappt, die Größeren, zu denen ich gehöre, schlafen in Sitzen am Tisch. Die Vorhänge werden zugezogen und kaum zu glauben, schon schlafen alle. Die Schwester geht, aus dem Gebetbuch lesend, durch den schmalen Gang. Es gibt so viel Abwechslung. Natürlich lernen wir auch  das Beten. Das "Jesus Kindlein komm zu mir.." kann ich schon von der Mama.

Bevor wir am Abend nach Hause gehen, beten  wir auch das Abendgebet. Jedes Beten endet mit: "Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Hl. Geistes Amen - Heil Hitler."

Im Sommer kommt dann mal die Küchenschwester mit der Frage, wer von den Großen im Garten helfen will. Die Finger schnellen in die Höhe. Auch ich melde mich. Die Schwester nimmt fünf mit in den Garten zum Ausrupfen von Unkraut. Natürlich hat sie uns genau erklärt, was wir heraus reißen dürfen. Die kleinen Kinderhände sind unter ihrer Anleitung emsig beschäftigt. Als wir fertig sind, waschen wir uns die Hände. Die Schwester fordert uns auf, uns auf die Bank zu setzen. Sie meint, dass so fleißige Kinder schon eine
Pause bekommen müssen.

Sie verschwindet kurz und bringt für jeden von uns einen Becher Saft, eine große Scheibe gutes Brot, dazu einen Apfel. Dann holt sie aus dem Keller auch noch für jeden von uns eine Essiggurke. So eine feine Gurke habe ich noch nie gegessen! Mein Leben lang habe ich diesen Duft in der Nase.
Ach, das war so schön heute. Hoffentlich wächst das Unkraut ganz schnell wieder nach. Bei trüben Wetter sind wir zwar auch draußen, können uns aber in der "Halle" aufhalten.
Dort steht u.a. auch ein kleines Karussell, welches sich mit der Kraft der Kinder dreht. Auch ich will mal mitfahren. Ich setze mich mit  hinein. Die Schwester schließt das Türchen und schon setzt sich das Karussell in Bewegung. Es ist das erste Mal, dass ich so "fahre". Die Kinder genießen die Fahrt; sie wollen immer schneller drehen. Aber mir wird übel, ich halte das nicht aus. Ich glaube, ich muss brechen. Wahrscheinlich schaue ich ganz grün aus, denn die Schwester stoppt die Fahrt, hebt mich heraus und setzt mich auf die Bank. Sie redet beruhigend auf mich ein, bringt mir Saft und langsam wird es mir wieder besser. Natürlich fahre ich nie mehr mit. Wenn ich das Karussell nur anschaue, befällt mich Übelkeit. Nein, ich will nie mehr Karussell fahren!

 
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