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Onkel Xaver

Mia die Feder > Viel passiert

Der Onkel Xaver geht, er verlässt uns...
Aber da kommt im Sommer doch noch etwas auf uns zu.  Der Onkel Xaver besucht uns nicht mehr. Er hat zwei Weltkriege durchgemacht und sich die Beine erfroren. Jetzt hat er Schwierigkeiten, er liegt im Lazarett.
Einmal in der Woche gehen Mama und ich zufuss nach Ingolstadt und besuchen ihm.
Meist ist auch seine Frau, die Tante Resi da. Sie kümmert sich liebevoll um den Kranken. Mama mag ihre Schwägerin sehr gern.
Ich gehe jedes Mal mit Freude mit der Mama ins Lazarett. Der Onkel Xaver liegt in einem großen Krankensaal, der von lauter kranken Männern belegt ist.
Es geht ihm nicht gut, aber er strahlt immer Zuversicht aus. Wenn er uns sieht, lacht er uns entgegen und ich darf mich zu ihm auf das Bett setzen. Er zieht dann immer die Schublade von seinem Nachtkästchen auf; ich bekomme eine Semmel, die mit Butter und Marmelade bestrichen ist. Die  hat er extra für mich aufgespart hat.
"De gehört meiner Feder" meint er immer. Er freut sich, wenn mir diese Semmel so gut schmeckt. Er nennt mich meistens "Feder".
Auf dem Weg erzählt mir Mama viel vom Onkel Xaver, wie er als Junger mit dem großen Fahrrad gefahren ist und bei den Radrennfahrern war. Er ist 1887 geboren und verbringt nun seinen 60. Geburtstag im Lazarett.
Mama hat extra einen Gugelhupf gebacken. Ich darf diesen überreichen. Der Onkel freut sich sehr. Mit seinen Beinen schaut es nicht gut aus.
"Des werd scho wieder",  äußert er hoffnungsvoll. Aber Mama weint auf dem Heimweg. Wahrscheinlich müssen die Beine abgenommen werden. Wirklich, bald ist es soweit. Die Operation verläuft gut; alle schöpfen Hoffnung. Doch dann kommt der "Brand" dazu und das Leben von meinen Onkel Xaver geht zu Ende.
Mama ist untröstlich, als uns diese Nachricht überbracht wird. Die "Leich" (Beerdigung) ist drei Tage später. Wir alle machen uns auf den Weg nach Ingolstadt. Nur Mutti bleibt mit den Kindern zuhause.
Im Leichenhaus sind eine Reihe Schaufenster, hinter denen die aufgebahrten Verstorbenen zu sehen sind.
Ich muss so weinen als ich meinen lieben Onkel Xaver dort liegen sehe. Sein Gesicht wirkt wie aus Wachs. Die Augen sind geschlossen und werden mich nie mehr anschauen.
Sein volles rotbraunes  Haar ist schön gekämmt, der Schnurrbart ist wie zu seinen Lebzeiten aufgezwirbelt. Seine Hände liegen auf seiner Brust, die Finger sind verschränkt und mit einem Rosenkranz umwickelt.
Es dauert nicht mehr lange. Die Totengräber kommen und ziehen den Vorhang zu, schließen den Sarg mit dem Deckel und fahren ihm in die Aussegnungshalle.
Alle Trauernden begeben sich ebenfalls dort hin. Der Pfarrer beginnt mit der Zeremonie der Trauerfeier. Er berichtet auch aus dem Leben von Onkel. Da gibt es nur Gutes zu berichten.
Ich schaue mich in der Halle um. Mein Blick fällt auf das Wandgemälde, welches den Totentanz darstellt und den Tod als Sensenmann zeigt, der vor keinem Alter und  vor keinem Stand Halt macht. Über dem Wandgemälde ist eine große Uhr und darunter steht:EINE DIESER STUNDEN WIRD AUCH DEINE LETZTE SEIN
Dieser Spruch begleitet mich mein Leben lang. Die Trauerfeier geht zu Ende. Eine Geige spielt noch eine Melodie, die herzzerreißend klingt und die Tränen noch mehr zum Laufen bringt. Der Wagen mit dem Sarg wird nun zum offenen Grab gebracht. Schweigend und weinend folgen die Trauernden. Der Pfarrer tröstet hier noch mit Worten  aus der Bibel die Hinterbliebenen, mit dem Hinweis auf die Auferstehung. Ja, ich werde den Onkel im Paradies wieder sehen. Das hilft doch ein wenig über den brennenden Schmerz hinweg.
Endlich wird der Sarg in das Grab gesenkt. Nacheinander gehen wir hin und werfen mit einer kleinen Schaufel Erde auf den Sarg.
Tante Resi bittet alle Verwandten und Freunde noch zu einem kleinen Leichentrunk in den Riedenburger Hof.
Wir bleiben nicht lange bevor wir  uns auf den Heimweg begeben. In diesen Tagen habe ich den Tod erstmals so nahe kennen gelernt. Doch das Leben geht weiter. Mamas tiefer Schmerz wird von dem Sorgen um das tägliche Leben verdrängt. Es kommen auch wieder bessere Tage.

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